Gelebtes Brauchtum im Alpbachtal
Wie spannend Tradition ist
Wie spannend Tradition sein kann...
Alpbachtal - das authentische Tirol erleben
Ganz nach diesem Motto erhaltet ihr im Alpbachtal einen eindrucksvollen Einblick in die Tiroler Kultur. Hier wird Tradition vielerorts noch gelebt. Ein Beispiel dafür sind die vielen verschiedenen Handwerker der Region, die heute noch überliefertes Kunsthandwerk beherrschen und bewahren. Gerade bei Festlichkeiten, wie etwa beim Reither Almabtrieb oder auch beim Kirchtag in Kramsach im September, wird man Zeuge ihres Könnens. Von der Federkielstickerei, dem Dogglmachen, Gamsbartbinden bis hin zum Spinnen, entdeckt man die ganze Vielfalt dieser alten Handwerkskunst.
Wer nicht bis zum Herbst warten will, der kann den verschiedenen Kunsthandwerkern an jedem Sonntag im Museum Tiroler Bauernhöfe bei der Arbeit zusehen. Hier arbeitet auch Dr. Thomas Bertagnolli, der wissenschaftliche Leiter des Museum. Er ist ein Experte in Sachen bäuerliche Alltagskultur. Im Interview gibt er einen spannenden Einblick in die Welt der Selbermacher und verrät warum im Alpbachtal der Hausnamen wichtiger als der Nachname sein kann.
Dr. Thomas Bertagnolli im Interview
Viele Menschen beherrschen heute noch altes Handwerk? Welche Faszination geht von diesem Können aus?
Bertagnolli: Heute will jeder alles, ohne sich dafür bemühen zu müssen. Es ist gegenwärtig einfacher, es sich einfach zu kaufen, als etwas wieder in Gang zu setzen oder noch schlimmer, darauf zu warten! Damals konnte man vieles aber hatte nichts. Das Wissen, um die Fertigkeiten der Menschen von damals macht meines Erachtens die Faszination aus, mit der wir modernen Menschen der überlieferten Fertigkeiten unserer Vorfahren begegnen. Althergebrachte „Handarbeit“, wie sie heute noch zu finden ist, wurde ausschließlich für den praktischen und repräsentativen Gebrauch erfunden.
Hat also jeder dasselbe gekonnt und hergestellt?
Bertagnolli: Im Grunde ja. Aber die ländliche Bevölkerung war so flexibel, dass sie auch Dinge für ihren individuellen Arbeitsgebrauch und das tägliche Leben erfunden hat. Dabei verbergen sich oft interessante Geschichten hinter den Alltagsgegenständen. Es ist immer wieder spannend zu entdecken, welche Bedeutung diese für das soziale Leben hatten. In meiner Arbeit kommen mir oft die kuriosesten Dinge unter.
Spannende bäuerliche Alltagskultur
Kurioses Handwerk - was zum Beispiel?
Bertagnolli: Eine Hasen-Guillotine aus der Zwischenkriegszeit die man mit einer Hand bedienen konnte. Klingt skurril, ist es auch. Erst durch Nachforschungen hat sich herausgestellt, dass sie ein Bauer entwickelte der seinen Arm im Krieg verloren hat. Er war erwerbsmäßiger Hasenzüchter und so vom Verkauf des Fleisches abhängig. Um die Tiere einhändig zu schlachten, baute er sich eine Hasen-Guillotine. Das ist das spannende an der bäuerlichen Alltagskultur, sie erzählt auch viel über die Menschen.
Traditionelle, kostbare Festtagskost
Neben dem Handwerk gibt es auch typisch traditionelle Kost, wie etwa die Prügeltorte. Warum heißt die eigentlich so?
Bertagnolli: Der Begriff Torte stammt aus dem Lateinischen „torta“, und bedeutet rundes Brotgebäck. Deshalb heißt ein Apfelstrudel auch nicht Apfeltorte, weil er eben nicht rund ist. Die Prügeltrote wird auf einem Holzprügel über offenem Feuer gebacken, somit wird auch klar, warum sie so genannt wird. Die Prügeltorte wurde vorwiegend in Brandenberg hergestellt. Eine traditionelle Festtagskost, die nur zu Hochzeiten und hohen Feiertagen aufgetischt wurde. Der Baumkuchen war teuer und gehaltvoll. Zucker und Eier waren kostbare Lebensmittel, die es nur zu speziellen Anlässen gab.
Tipp:
Hermann Mader aus Kramsach fertigt die köstlichen Prügeltorten nach altem Brauch. Dieser Baumkuchen ist eine regionale Spezialität, die von Hand hergestellt wird. Jede einzelne Prügeltorte wird über offenem Feuer gebacken. Die Grundmasse aus Butter, Zucker und Mehl wird schichtweise auf eine Walze (Prügel) aufgetragen und so lange gedreht, bis der Teig goldbraun wird. So entsteht Schicht für Schicht die original Tiroler Prügeltorte. Gute zwei Stunden benötigt er für eine Torte.
Apropos Namen...
In der Region fällt auf, dass sich Einheimische mit dem Hausnamen ansprechen, anstatt den Namen oder Nachnamen zu verwenden. Was hat es damit auf sich?
Bertagnolli: In der Schule bekam doch jeder einen Spitznamen. Und das gilt auch für viele Häuser in der Region. Man kannte und kennt auch heute noch die Leute beim Hausnamen. Das hat einen sehr praktischen Hintergrund. Nachnamen sind oft dieselben oder ändern sich. Durch Hochzeiten zum Beispiel. Durch die Verwendung des Hausnamens hat man damals schon gewusst, wer gemeint ist. Denn der Weiler bzw. der Hausnamen bleibt über Jahrhunderte derselbe. Das ist heute noch so. Finden Sie mal den Josef Moser in Alpbach, den ich jetzt gerade meine. Kennt man den Häusernamen, dann findet man ihn sofort. Im Telefonbuch hingegen blättert man sich die Finger wund.
Und wie kamen die Häuser zu ihren Namen?
Bertagnolli: Hinter den Hausnamen verbergen sich oft interessante Geschichten. Meist leitet sich der Namen von einem Spezifikum des Hauses ab. Beispielsweise hatte die Bauernfamilie im Haus „Mug“, was sich aus dem Mittelhochdeutschen für „Mugelich“ (vermögend) entwickelte, viele Felder und Kühe. Unser Nachbar, der Gasthof „Rohrerhof“, stand früher im Schilfgürtel (Rohr). Und die „Schonner“ hatten ihr Haus in einer schönen Gegend (schöne Au). So geben die Namen immer auch einen Hinweis auf die Geschichte, die sich hinter der Familie oder eben dem Haus verbirgt.
Häusernamen: Die Spitznamen der Einheimischen
Der „Mug“, der „Häusn“ und der „Schwaschtling“. Heute noch kennen sich viele Einheimische unter ihren Hausnamen, hinter denen sich interessante Geschichten verbergen (siehe Interview).
Spinnen, sticken, sägen...
Federkielstickerei: Filigrane Feinarbeit als Lederschmuck
Georg Leitner aus Reith im Alpbachtal beherrscht noch diese selten gewordene Fertigkeit. Das Federkielsticken ist kein Lehrberuf, sondern wird mündlich überliefert. Sein Großvater, Vater gaben die Tradition weiter. Heute bewahren er und jetzt auch sein Sohn dieses Handwerk. Wie der Name schon verrät, dient eine Feder (Straußenfeder) als Faden, mit der Lederriemen, Handtaschen und Lederhosen bestickt werden. Eine Besonderheit ist der sogenannte „Ranzen“. Damals galt dieser Bauchschmuck als Statussymbol und konnte den Gegenwert eines Pferdes erreichen. Heute ist der bestickte Gürtel zur Rarität geworden. Bis zu 200 Stunden dauert es, bis ein Ranzen fertiggestellt ist.
Spinnen: Die zwei Originale aus dem Alpbachtal
Anna und Agnes dürfen auf keinem Handwerksfest fehlen. Die drei Alpbacherinnen wissen, dass es beim Spinnen auf das richtige Taktgefühl ankommt. Damit das Rad in Schwung kommt, braucht es viel Übung mit dem Fußpedal. Erfahrung haben die Damen natürlich, denn bereits als Kinder haben sie das Spinnen von ihren Müttern gelernt. Aus Flachs, Hanf und Schafwolle fertigten sie Tischdecken, Handtücher und feinste Leinentücher. Früher stand in jedem Bauernhaus ein Spinnrad. Im Winter, wenn die Tage kurz und die Nächte lang waren, fand man die Ruhe und Zeit, um am warmen Ofen zu Spinnen. Die Zwei sind aber nicht nur handwerklich begabt. Sie können auch hervorragend singen. Gemeinsam mit ihrer Freundin Therese hatten sie als „Alpbacher Dreigesang“ sogar schon in Brüssel ihren Auftritt.
Dogglmachen: Allrounder aus Reith i.A.
Flipflops, Crocs & Co bekommt man überall auf der Welt. Doch echte Doggln gibt es nur in Tirol. Die bunten Hausschuhe aus Filz werden direkt in Reith im Alpbachtal hergestellt. Annelise Naschberger beherrscht noch dieses alte Handwerk das viel Zeit, Geduld und Fingerfertigkeit voraussetzt. Die Alpbacher Doggln sind absolute Allrounder die sich dem Fuß und dem Leben seines Besitzers anpassen.
Holzsäger: Alpbachs urige Sägewerkstatt
Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Ein bekanntes Sprichwort das nur zu gut auf den Alpbacher Säger Andreas Moser zutrifft. Er ist einer von sehr wenigen in Tirol, die den Beruf des Sägers heute noch ausüben. Der gelernte Sägemeister hat seine Werkstatt im idyllischen Inneralpbach. 1924 wurde die kleine Säge in Betrieb genommen. Andreas Moser, (der übrigens auch unter dem Namen „Schwaschtling“, von Holzschwarte abgeleitet, bekannt ist) arbeitet heute noch mit einigen Gerätschaften seines Großvaters. Eine Besonderheit ist sicherlich das Sägeblatt aus dem Jahre 1867, das immer noch Verwendung findet.